Spezial: Streitthema Lebensmittelkennzeichnung
Diesen Bereich überspringenDie Ampel ist vom Tisch, wir zeigen Ihnen die Alternativen
Bei der in Großbritannien bereits erfolgreich eingesetzten Nährwert-Ampel wird für den Verbraucher auf den ersten Blick deutlich, wie das Produkt einzuordnen ist. Auf der Vorderseite der Verpackung wird der Gehalt an Nährstoffen wie Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz jeweils durch die Ampelfarben gekennzeichnet. Rot steht dabei für einen hohen Anteil und empfiehlt einen gemäßigten Verbrauch, gelb für einen mittleren und grün für einen geringen Anteil und bedenkenlosen Verzehr. Eine erste Umfrage der britischen Verbraucherorganisation 'Which?' zeigte, dass die Briten das Modell als schnell und leicht verständlich befürworten. In Großbritannien wird die Ampel bislang hauptsächlich auf Convenience Food: Fertiggerichten, Pizza, Würstchen, Burger, Kuchen, Sandwiches und auf Frühstücksflocken aufgedruckt, denn hier bestehen bei den Verbrauchern die meisten Unsicherheiten.
In Deutschland dagegen scheint die Ampel bereits abgeschrieben und auch die EU-Kommission hat sich jetzt gegen die Ampel als europaweite Nährwertkennzeichnung ausgesprochen. Eine sachliche Verbraucherinformation ist gesucht. Vertreter der Lebensmittelindustrie kritisieren, dass eine Einteilung der Lebensmittel in "Gut", "Mittel" und "Schlecht" sachlich nicht gerechtfertigt sei. Starke Umsatzeinbußen werden befürchtet. Die Verkaufszahlen britischer Unternehmen belegen bereits, dass viele Verbraucher das System tatsächlich als Richtwert anwenden. Schon kurz nach Einführung der Ampel sanken bei der Supermarktkette Sainsbury's beispielsweise die Verkaufszahlen einer überwiegend rot gekennzeichneten Moussaka um 24 Prozent und rund 50 Prozent aller Käufer von Fertiggerichten, griffen nach Einführung der Ampel zu Produkten die mehr grüne Punkte aufweisen konnten, zum Beispiel zu fischhaltigen Fertiggerichten1. Die Hersteller reagierten auf diesen Wandel im Kaufverhalten umgehend mit Anpassungen ihrer Produktzusammensetzungen.
Das "1 plus 4" Modell
Minister Seehofer hingegen kritisiert die Eindimensionalität der Ampel und fürchtet daraus resultierend eine regelrechte "Verdummung" der Verbraucher. Seehofer nahm sich daher den in seinen Augen gravierenden Schwachstellen des Systems an und entwickelte gemeinsam mit Vertretern der Wirtschaft ein Eckpunktepapier zur erweiterten Nährwertinformation: das "1 plus 4" Modell (Brennwert plus Gehalte an Fett, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz) auf Basis des Richtwertes für die Tageszufuhr von Nährstoffen, die sogenannte Guideline D;aily Amount (GDA).
Die GDA-Werte wurden vom Verband der europäischen Ernährungsindustrien (CIAA) erhoben und richten sich nach dem Nährstoffbedarf einer erwachsenen Frau. Ihr Energiebedarf liegt beispielsweise bei durchschnittlich 2.000 kcal am Tag. Die GDA-Tabelle umfasst dabei die Richtwerte für Kalorien, Eiweiß, Kohlenhydrate, Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe, Natrium und Salz. Da der individuelle Nährstoffbedarf jedoch von verschiedenen Faktoren wie Alter, Geschlecht und körperlicher Aktivität abhängig ist, stellt die GDA-Tabelle nur eine Orientierungshilfe und keinesfalls eine Zielgröße dar.
Ausgehend von dieser Tabelle soll das "1 plus 4" Modell Informationen über den Brennwert und über den Gehalt an Fett, Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz sowie eine Information über den prozentualen Richtwert für die Tageszufuhr liefern. Im Gegensatz zur GDA-Tabelle erfolgt keine Information über Ballaststoffe, Eiweiß, Kohlenhydrate und Natrium. Das deutsche Eckpunktemodell könnte im Einzelnen so umgesetzt werden: Der Kaloriengehalt pro Portion, alternativ auch pro 100 g, soll auf der Schauseite der Verpackung angebracht werden. Die anderen Nährwertangaben, alle jeweils mit prozentualem Anteil des Nährwerts am Tagesbedarf, könnten entweder frei wählbar platziert werden oder, wie in Variante B sichtbar, in die Schauseite integriert werden. Das System soll dem Verbraucher mehr Information bieten, basiert jedoch auf Freiwilligkeit. Den Herstellern wird nicht nur freigestellt, ob die Informationstafeln ganz oder nur teilweise dargestellt werden, sondern auch, ob sie überhaupt eingeführt werden.
Ausgezeichnet informiert - Die Initiative für bewusste Ernährung
Ebenfalls auf Basis der GDA Werte gründet die Initiative der Lebensmittelwirtschaft "Ausgezeichnet informiert". Auch sie hat sich zum Ziel gesetzt, eine übersichtliche und informative Zusammenstellung der Kalorien- und Nährwertkennzeichnung auf ihren Produkten zu etablieren, um die Zusammenstellung einer ausgewogenen Ernährung zu vereinfachen. Der Initiative gehören namhafte Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft, wie Danone, Coca-Cola, Kraft Foods Deutschland, Mars oder Nestlé, und aus dem Handel, wie Rewe, Lidl oder die Metro Gruppe, an. Die gewählte Kennzeichnung entspricht im Wesentlichen in der Darstellung dem "1 plus 4" Modell.
Kritikpunkte
Neben der Kennzeichnung auf freiwilliger Basis kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) die ihrer Meinung nach wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Erhebung der Werte. Sie weist darauf hin, dass Geschlecht, Alter, Lebensumstände und sonstige Aktivitäten bei der Ermittlung des individuellen Nährstoffbedarfs nicht außer Acht gelassen werden können. Zudem sei aus der Darstellung keineswegs ersichtlich, ob je nach Nährstoff ein geringerer oder höherer Wert erstrebenswert sei. Erschwerend hinzu komme, dass der neu eingeführte Begriff GDA hierzulande in der Regel mit "empfohlene Tageszufuhr" übersetzt werde, was sachlich so nicht richtig sei. Dem Verbraucher werde hier suggeriert, es handele sich um eine wissenschaftliche Empfehlung, wie beim RDA (Recommended Dietary Allowance), dem Empfehlungswert für Vitamine und Mineralstoffe, das sei jedoch nicht der Fall, so die DGE und sorge dementsprechend für Verwirrung.
Die ausführliche Stellungnahme der DGE mit Informationen zu den einzelnen Kritikpunkten kann man hier nachlesen.
Auch in der Politik ist man sich nicht einig, die Sozialdemokraten tendieren zu einem Ampelsystem, das zusätzlich noch Kalorien und Ballaststoffe der Lebensmittel angibt. In den Reihen der Grünen wird kritisiert, dass das System generell viel zu kompliziert sei. Verbraucher müssten so mit Lebensmittelduden und Taschenrechner ihren Einkauf tätigen. Gestützt wird das übrigens von einem Test den der Hessischen Rundfunk durchgeführt hat, hier fiel das System zunächst durch, weil den Probanden die nötigen Hintergrundinformationen fehlten und sie beispielsweise nicht wussten, wie sie die Prozentangaben einordnen sollten.
Umsetzung in der EU
Trotz der Kritik kam der Vorschlag Seehofers bei der EU-Kommission gut an. Aus dem ausgearbeiteten Eckpunktemodell will die EU nun ein eigenes Modell ableiten und die derzeitige EU Richtlinie 200/13/EEC in eine europaweit verpflichtende Nährwertkennzeichnung umwandeln. Das geplante EU-Modell sieht vor, dass alle Informationen auf der Schauseite des Produkts präsentiert werden. Durch festgelegte Bezugsgrößen (100g bzw. pro Portion) und eine festgelegte Mindestschriftgröße von 3 mm soll der Verbraucher auf den ersten Blick alle wichtigen Informationen erhalten.
Das Wirtschaft hingegen will sich nicht zwingen lassen ihre Produkte mit einem Kennzeichnungssystem zu versehen. Kritisiert wird hier, dass die Übersichtlichkeit für den Verbraucher durch dieses System verloren gehen würde und viele Verpackungen schlichtweg zu klein seien, um sämtliche Informationen auf der Schauseite unterbringen zu können. Minister Seehofer ist jetzt von Wirtschaftsseite dazu aufgerufen, sich gegen eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung einzusetzen und weiterhin zu seinem Modell zu stehen. Doch nachdem man ihm vermehrt vorgeworfen hatte, reiner Interessenvertreter der Wirtschaft zu sein, scheint er jetzt Gefallen an einem verpflichtenden System zu finden.
Fakt ist, dass keines der möglichen Systeme die Schwachstellen der anderen ausgleichen kann, dass es sogar mehr oder minder unmöglich ist, auf einem statischen Produkt eine individuell zutreffende Nährwertinformation abzugeben. Ein von der Kommission entwickelter Gesetzesvorschlag, wie auch immer dieser letzten Endes aussehen mag, muss zunächst noch vom europäischen Parlament und dem europäischen Rat angenommen werden, bevor daraus ein Gesetz werden kann. Da Letzterem wiederum die Staats- und Regierungschefs der einzelnen EU-Länder angehören, wird dies noch ein langer und vor allem steiniger Weg sein.
Der Verbraucher darf gespannt sein, welches Modell die EU letztendlich entwickelt, um eine verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung zu gewährleisten, und besonders, ob es sich dabei um ein freiwilliges oder verpflichtendes Modell handeln wird.
Wenn Sie mehr über die Ampel-Kennzeichnung in Großbritannien wissen möchten und sehen wollen, was die Ampel für unsere Lebensmittel bedeuten würde, dann können Sie sich bei uns informieren: Mehr Informationen zur Ampel
Aktuelle Informationen zum Thema Nährwertkennzeichnung und Lebensmittelampel finden Sie auch regelmäßig in unserem Blog.
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